Lesetipp: Heribert Prantl: Das Glück der Solidarität
Der Autor war bis vor Kurzem Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung und beschreibt in seinem Beitrag die grundsätzlichen Anfragen an den Sozialstaat und den Umgang mit den "sozial Schwachen":
"Unser aller Grundnorm ist der Artikel 1 des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Der Sozialstaat ist die Einrichtung, die diese Würde organisiert. Das Grundgesetz mit dem Artikel 1 und den Grundrechten muss der Bauplan sein und bleiben für alles, was dieser Staat und diese Gesellschaft tun. (...)
Der Sanktionsparagraph 31 des Sozialgesetzbuchs II behandelt die Leute als potenzielle Faulpelze, denen man die Faulpelzerei auf Schritt und Tritt austreiben muss. Die schwarze Pädagogik, in der Kindererziehung verpönt, hat Hartz IV bei erwachsenen Menschen wieder eingeführt. Hartz-IV macht auf diese Weise den Bürger zum Untertan. Das darf nicht sein. Das Bundesverfassungsgericht sollte im Jubiläumsjahr des Grundgesetzes diesen unguten staatlichen Paternalismus beenden. (…)
Wenn der Sozialstaat funktioniert, ist er Heimat für die Menschen. Beschimpfen kann den Sozialstaat nur der, der keine Heimat braucht. Und den Abriss wird nur der verlangen, der in seiner eigenen Villa wohnt. Ob er sich dort noch sehr lange wohl fühlen würde, ist aber fraglich. Ein Sozialstaat gibt nicht dem, der schon hat; und er nimmt nicht dem, der ohnehin wenig hat. Er schafft es, dass sich die Menschen trotz Unterschieden in Schicksal, Rang, Talenten und Geldbeutel auf gleicher Augenhöhe begegnen." (…)
Aus dem Wissen heraus, dass die Ausgangsbedingungen im Leben höchst ungerecht sind, muss der Sozialstaat, die fürsorgliche Gesellschaft dafür sorgen, dass der Mensch reale, nicht nur formale Chancen hat und ihm respektvoll begegnet wird. "Der Sozialstaat, der für diesen Respekt stehen soll, ist die größte Errungenschaft der europäischen Geschichte."
Der Text ist eine gekürzte Fassung des Eröffnungsvortrages zum Armutskongress 2019 im April in Berlin, den Paritätischer Wohlfahrtsverband, Arbeiterwohlfahrt und Nationale Armutskonferenz gemeinsam mit dem DGB veranstaltet haben.