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Am kommenden Dienstag (15. Oktober) stellt die Bundesregierung ihre Finanzbildungsstrategie für Deutschland im Rahmen einer Veranstaltung in Berlin vor.

Der Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Thomas Höhne (Helmut-Schmidt-Universität Hamburg) hat diese Initiative im Auftrag der Otto-Brenner-Stiftung einer kritischen Analyse unterzogen und kommt zu einem eindeutigen Ergebnis:

"Die Studie zeigt, mit welcher Macht im Rahmen der "Initiative Finanzielle Bildung" letztlich das Leitbild des Homo oeconomicus (aktivierungs-)politisch durchgesetzt werden soll – mit all den erwähnten fragwürdigen und negativen Effekten: Exklusive parteipolitische Deutungshoheit im Feld der Finanzbildung, Marginalisierung unabhängiger zivilgesellschaftlicher Akteure und Angebote [Anm: z.B. auch der Schuldnerberatung], eine Kommerzialisierung von Finanzbildungsangeboten einschließlich der damit verbundenen lobbypolitischen Bedeutung, die Instrumentalisierung von Bildung und ‚vulnerabler Gruppen‘ für parteipolitische Zwecke sowie die Engführung auf Finanzbildung gegenüber ökonomischer Bildung."

Kernergebnisse:

- Die "Initiative Finanzielle Bildung" von BMF und BMBF zielt darauf ab, die Bevölkerung zum Investieren in die Finanzmärkte zu bewegen (Aktivierungspolitik).
- Die Initiative ist durch eine parteipolitische Ausrichtung bestimmt, für die Bildung instrumentalisiert wird.
- Offiziell sollen armutsbetroffene, "vulnerable Gruppen" erreicht werden, tatsächlich adressiert werden aber Wohlhabende.
-  Menschen, die nicht investieren können, wird die Verantwortung für ihre Situation tendenziell selbst zugeschrieben.
- Derzeit steuert das BMF die Initiative top-down, eine angemessene Beteiligung zivilgesellschaftlicher Akteure ist nicht zu erkennen.
- Auf der Finanzbildungsplattform dominieren reine Informationsangebote ohne Bildungsfunktion.


Unter dem Link unten findet sich die gesamte Studie, eine Kurzzusammenfassung sowie ein Positionspapier von attac.

Pressemitteilung von attac

Das Netzwerk attac, das Kooperationspartner ist, hat in einer Pressemitteilung vom 11. Oktober die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst:

Finanzbildung mit parteipolitischer Agenda: Studie kritisiert die Einseitigkeit der Finanzbildungsinitiative der Bundesregierung

Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat am 7. Oktober einen Referentenentwurf veröffentlicht, dem zu Folge die "Initiative Finanzielle Bildung" gesetzlich verankert und mit neun Millionen Euro jährlich ausgestattet werden soll. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatte diese Initiative im Frühjahr 2023 gemeinsam mit seiner Parteikollegin, Bundesbildungs- und Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger, ins Leben gerufen. Die Initiative sollte in Zusammenarbeit mit der OECD eine nationale Finanzbildungsstrategie entwickeln und Impulse zur Stärkung der finanziellen Bildung in Deutschland geben. In Kooperation mit Attac Deutschland hat die Otto Brenner Stiftung den Erziehungswissenschaftler Professor Thomas Höhne (Helmut-Schmidt-Universität Hamburg) beauftragt, die Initiative der Bundesregierung zu untersuchen. Sein Fazit: Die Initiative wird dem Anspruch, unabhängige finanzielle Bildung zu fördern, nicht gerecht. Das eigentliche Anliegen der FDP-dominierten Initiative scheint vielmehr ein parteipolitisches zu sein – es geht darum, möglichst viele Menschen zum Investieren an den Finanzmärkten zu bewegen.

Im Zentrum der "Initiative Finanzielle Bildung" steht die sogenannte "Finanzbildungsplattform" www.mitgeldundverstand.de. Dort sollen bestehende Angebote aus dem Bereich der finanziellen Bildung gebündelt und ein leichterer Zugang zu diesen ermöglicht werden. Doch die Studie zeigt: Nur acht Prozent der insgesamt 449 zur Verfügung gestellten Angebote lassen sich als Bildungsmaterial qualifizieren. Hauptsächlich werden schon bestehende staatliche Informationsangebote ohne didaktisches Konzept präsentiert. Zudem werden zum Teil einseitige politische Positionen als Bildungsmaterial deklariert, wie die Analyse eines Videos zur Schuldenbremse zeigt.

Der Autor der Studie kommt zu dem zentralen Befund, dass die "Initiative Finanzielle Bildung" eindeutig die parteipolitische Handschrift der FDP trägt. So wird die Initiative Top-down durch das Bundesfinanzministerium gesteuert. Auch inhaltlich bestehen deutliche Überschneidungen mit der wirtschaftspolitischen Agenda der FDP (Stichworte: Aktienrente, Generationenkapital, Altersvorsorgedepot). Besonders problematisch: Die Initiative ignoriert die Existenz seit Jahrzehnten gewachsener zivilgesellschaftlicher Strukturen und ihrer Expertisen im Bereich der finanziellen Bildung. Institutionen wie die Verbraucherzentralen oder Schuldnerberatungen, die über ein breites Erfahrungswissen und umfassende Bildungsangebote verfügen, werden zugunsten kommerzieller und lobbyistischer Akteure in den Hintergrund gerückt.

Nach Aussagen der federführenden Ministerien sollen mit der Initiative der Bundesregierung insbesondere armutsbetroffene "vulnerable Gruppen" erreicht werden. Mit der Unterstellung, ihnen fehle entscheidendes Wissen über Finanzmärkte und Anlageformen, wird die Notwendigkeit verstärkter Finanzbildung weiter legitimiert, so Höhne. Gleichzeitig bleiben aber die gesellschaftlichen Bedingungen prekärer Lebenssituationen als strukturelles politisches Problem ausgeblendet. Menschen, die nicht investieren können, wird die Verantwortung für ihre Situation tendenziell selbst zugeschrieben.

Holger Oppenhäuser, Projektleiter der Studie bei Attac, betont die Einseitigkeit der FDP-Initiative und präsentiert eine alternative Bildungsplattform: "In der ökonomischen Bildung dominiert die Neoklassik und Lernende werden meist als Verbraucher*innen oder Unternehmer*innen angesprochen, nicht als Bürger*innen, die ökonomische Verhältnisse gestalten. Bei den frei erhältlichen Materialien überwiegen privatwirtschaftliche Angebote – gerade von der Finanzindustrie. All das gilt besonders für das engere Feld der Finanzbildung. Dass die FDP das fördert, überrascht nicht. Aber es ist dreist, wie hier die eigene ‚Finfluencer‘-Blase aus Steuermitteln gefördert wird und wie parteipolitische Positionen als Bildung verkauft werden. Wir setzen mit unserer alternativen Bildungsplattform (www.geldmitverstand.de) gezielt einen Kontrapunkt zur FDP-Plattform und fordern die Regierung auf, den FDP-Entwurf im Kabinett zu stoppen. Stattdessen sollte eine plurale ökonomische Bildung gefördert werden."

Hinweis: Auf dieser alternativen Plattform wurden auch die Materialien der Koordinierungsstelle aufgenommen mit den Anmerkungen: "Die Materialien der Koordinierungsstelle Schuldnerberatung gehen von der Auseinandersetzung mit eigenen Bedürfnissen und Lebensträumen aus und fördern den kompetenten Umgang mit Geld sowie das Erkennen von möglichen Schuldenfallen."

Vor fast einem Jahr wurde die Plattform der Bundesregierung vorgestellt. Bis heute sind die vielfältigen Angebote z.B. der Schuldnerberatung dort nicht vertreten. Aktuell entwickelt die Bundesregierung Qualitäts-Kriterien für die Auswahl der Materialien. Was schon etwas merkwürdig anmutet. Denn seit vielen Jahren gibt es z.B. den Materialkompass Verbraucherbildung der Verbraucherzentrale, der nach klaren und nachvollziehbaren Kriterien Materialien bewertet. Man müsste das Rad in der Tat nicht neu erfinden.

 

 

Pressemitteilung

 

 

Studie und Kurzzusammenfassung

 

 

 

 

 

Koordinierungsstelle Schuldnerberatung in Schleswig-Holstein