Verfestigung sozialer Wohnversorgungsprobleme in deutschen Großstädten
Die Hans-Böckler-Stiftung hat ihre Studie zur Wohnraumversorgung in den 77 größten deutschen Städten aus dem Jahr 2018 aktualisiert.
Stefan Sell hat die Zahlen in seinem Blog eingeordnet:
"49,2 Prozent der rund 8,4 Millionen Haushalte, die in Deutschlands Großstädten zur Miete wohnen, müssen mehr als 30 Prozent ihres Nettoeinkommens ausgeben, um ihre Miete (bruttowarm) zu bezahlen. Das entspricht mehr als 4,1 Millionen Haushalten, in denen etwa 6,5 Millionen Menschen leben. Dabei sind eventuelle Sozialtransfers und Wohngeld bereits berücksichtigt. Bei Sozialwissenschaftlern wie bei Immobilienexperten gilt eine Mietbelastungsquote oberhalb von 30 Prozent des Haushaltseinkommens insbesondere bei Haushalten mit niedrigerem Einkommen als problematisch, weil dann nur noch relativ wenig Geld zur sonstigen Lebensführung bleibt. Auch viele Vermieter ziehen hier eine Grenze, weil sie zweifeln, dass Mieter sich mit weniger Einkommen ihre Wohnung dauerhaft leisten können", kann man diesem Bericht über die neuen Studienergebnisse entnehme.
Mehr als 1,5 Millionen leistbare und angemessene Wohnungen fehlen. "Gut ein Viertel (25,9 Prozent) der Haushalte in den 77 deutschen Großstädten, das entspricht knapp 2,2 Millionen Haushalten mit knapp 3,1 Millionen Bewohnerinnen und Bewohnern, müssen sogar mindestens 40 Prozent ihres Einkommens für Warmmiete und Nebenkosten aufwenden, knapp 12 Prozent oder fast eine Million Haushalte gar mehr als die Hälfte. Die mittlere Mietbelastungsquote (Medianwert) für alle Mieterhaushalte in Großstädten liegt bei 29,8 Prozent für die Bruttowarmmiete und damit knapp unter der Überlastungsgrenze."
In Kiel lag die Mietbelastungsquote (bruttowarm) im Jahr 2018 bei 30,4 Prozent (-2 Prozent gegenüber 2006 - Studie, S. 109).
Der Anteil an Haushalten mit einer Mietbelastungsquote von über 30 Prozent betrug in Kiel im Jahr 2018 50,87 Prozent (-6,98 Prozent - Studie, S. 111).
Der Anteil an Haushalten mit einer Mietbelastungsquote von über 40 Prozent betrug in Kiel im Jahr 2018 28,93 Prozent (-3,15 Prozent - Studie, S. 114).
Der Anteil an Haushalten mit einer Mietbelastungsquote von über 50 Prozent betrug in Kiel im Jahr 2018 13,32 Prozent (-2,69 Prozent - Studie, S. 116).
Die Stadtsoziologen sprechen von einer "weiteren Polarisierung" der Wohnungssituation. Im zeitlichen Vergleich von 2006 bis 2018 zeige sich, "dass sich die sozialen Ungleichheiten im Bereich des Wohnens verschärft und hohe Mietkostenbelastungen verfestigt haben".
"Im Zeitverlauf sogar leicht zugenommen hat der "harte Kern der Wohnungsnot" in den Großstädten. Selbst wenn ein Teil der sozialen Wohnversorgungsprobleme durch eine bessere Verteilung des vorhandenen Wohnraums gelöst werden könnte, was eine eher theoretische Erwägung ist, blieben noch 1,5 Millionen Haushalte, die nicht mit bezahlbaren und angemessenen Wohnungen versorgt würden. Dieser "harte Kern" der Wohnungsnot betrifft über 18 Prozent aller Mieterhaushalte in den Großstädten – vor allem kleine Haushalte und Einkommensklassen mit geringen Einkommen."
Was die Konsequenzen aus dieser Analyse angeht, so kommt die Studie zu diesem Schluss:
"Neben mietrechtlichen Instrumenten zum Schutz der bestehenden Mietpreise und dem Ausbau von Belegungsbindungen für Haushalte mit geringen Einkommen sollte der soziale und gemeinnützige Wohnungsbau mit möglichst dauerhaften Mietbindungen erheblich gestärkt werden. Ein weiterer entscheidender Schlüssel zu einer sozialen Wohnversorgung sei jedoch die Einkommenssituation der Mieterinnen und Mieter. Ohne wirksame Maßnahmen zur Auflösung des weit verbreiteten Niedriglohnsektors sei eine soziale Wohnversorgung in den Großstädten nicht zu gewährleisten."
Quelle: Aktuelle Sozialpolitik, Eintrag vom 15.06.2021