Verhandlung über Sanktionen im SGB II vor dem Bundesverfassungsgericht
Am 15.01.2019 hat die mündliche Verhandlung zum Thema Sanktionen im SGB II vor dem Bundesverfassungsgericht stattgefunden. Die Richter in Karlsruhe müssen prüfen, ob die Leistungskürzungen gegen das Grundgesetz verstoßen. Im Vordergrund steht die Frage, ob Sanktionen im SGB II das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verletzen. Das Bundesverfassungsgericht stellt dazu einerseits die Mitwirkungsanforderungen an Hartz-IV-Bezieher und andererseits die Minderungen an sich auf den Prüfstand. Hierzu hat das Gericht einen Fragenkatalog veröffentlicht.
Bisherige wissenschaftliche Untersuchungen zur Wirksamkeit von Sanktionen kommen zu verschiedenen Ergebnissen: Quantitative Studien des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) deuten darauf hin, dass sanktionierte Hartz-IV-Bezieher schneller Arbeit aufnehmen. Mehrere qualitative Studien zeigten hingegen, dass Sanktionen die Lebenssituation von Hartz-IV-Beziehern eher destabilisieren als verbessern. Mehr bei O-Ton Arbeitsmarkt
Der Verein Tacheles war bei der Verhandlung neben anderen als sachverständige Dritter vom Gericht bestimmt worden. Harald Thomé hat auf der Seite von Tacheles seine Eindrücke von der Verhandlung sehr persönlich und eindrucksvoll geschildert. Sehr lesenswert!
Der Paritätische Gesamtverband hat sich gegen Sanktionen positioniert und begründet das in zwei lesenswerten Beiträgen:
Hintergrund: Sanktionen im SGB II abschaffen!
Der Artikel beschreibt den rechtlichen Hintergrund und die Häufigkeit von Sanktionen:
"Die Zahl der Sanktionen ist bis 2017 (aktuellste Jahreszahl der BA Statistik) auf 952.839 angewachsen, gegenüber 782.996 im Jahr 2007, dem ersten Jahr, in dem die Statistik eine Jahreszahl aufweist. Während sich 2007 deutlich weniger Sanktionen auf 5,278 erwerbsfähige Leistungsberechtigte verteilten, wurden 2017 bei insgesamt 4,362 Millionen erwerbsfähigen Leistungsempfängern deutlich mehr Sanktionen ausgesprochen. Dabei entfallen etwa drei Viertel aller Sanktionen auf bloße Meldeversäumnisse. Sanktionstatbestände wie „fortgesetztes unwirtschaftliches Verhalten“ wurden 2017 nur in 352 Fällen festgestellt. Zu einer Weigerung, eine Arbeit oder Ausbildung aufzunehmen oder fortzuführen, kam es 2017 in 83.381 Fällen. Im Jahresdurchschnitt 2017 waren 136.799 erwerbsfähige Leistungsberechtigte von mindestens einer Sanktion betroffen, im Durchschnitt mit einer monatlichen Kürzung der Regelleistungen um 109 Euro. Im August 2018 waren etwa 7.000 Menschen „voll“ sanktioniert und erhielten keine Leistungen."
Ulrich Schneider: Es geht nicht um die Disziplinierung der Armen, sondern um die Legitimierung der Reichen – ein Gedanke zur Sanktionen-Debatte
"Eine breite Debatte hat (endlich) eingesetzt zur Frage der Sinnhaftigkeit, der Verfassungsgemäßheit und der moralischen Bewertung, dass Menschen bei Verstößen gegen die Regeln und Auflagen der Jobcenter mit Leistungskürzungen unter das offizielle Existenzminimum abgestraft werden."