Zweite Umfrage zur Situation der Schuldnerberatung unter Corona-Bedingungen in Schleswig-Holstein
Seit zweieinhalb Jahren bestimmt die Corona-Pandemie unser gesellschaftliches und privates Leben. Als wären damit nicht schon genug Einschnitte und Probleme verbunden, stehen wir aktuell vor einer Energiekrise, ausgelöst durch den Ukraine-Krieg.
Aktuell steigt die Anzahl der Ratsuchenden, die Probleme mit Energierechnungen haben, insbesondere in Kiel deutlich bis rasant an. Die vorliegenden Zahlen bilden diese Entwicklung noch nicht ab.
Analog zur bundesweiten Umfrage der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände (AG SBV) haben wir eine zweite Umfrage zur Situation in unseren Beratungsstellen gestartet. Die Fragen sind identisch geblieben, um eine Entwicklung aufzeigen zu können:
Wie ist derzeit die Situation in den Schuldnerberatungsstellen in Schleswig-Holstein? Haben sich Beratungsbedarfe unter Corona-Bedingungen verändert? Gibt es einen Unterschied in den Städten und auf dem Land hinsichtlich des Zugangs zur Beratung, bei den Zielgruppen, dem Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Beratung sowie bei den Fallzahlen?
Alle Fragen bezogen sich auf den Befragungszeitraum 1. Halbjahr 2022 gegenüber dem ersten Halbjahr 2019.
Kernergebnisse:
Hinweis: Die Zahlen in Klammern verdeutlichen die Veränderung in Prozent gegenüber der ersten Umfrage, die sich auf das Jahr 2021 bezog. Die vergleichenden Ergebnisse beider Umfragen finden Sie im Anhang der Auswertung.
Deutlich mehr Menschen wandten sich im ersten Halbjahr 2022 an die Schuldnerberatungsstellen in Schleswig-Holstein. Bei 78 % der antwortenden Berater*innen hat sich die Anzahl der Anfragen gegenüber dem 1. Halbjahr 2019 erhöht (+15).
Aktuell fragen zunehmend Erwerbstätige Schuldnerberatung nach (+10 gegenüber 2021). Auch wenn der Anteil an (Solo-)Selbständigen in der Beratung deutlich gesunken ist, bleibt er auf hohem Niveau. Personen in Kurzarbeit fragen weniger Beratung nach als im vergangenen Jahr, und wenn, dann etwas häufiger in den kreisfreien Städten.
Die Beratung von Personen mit zusätzlichem Unterstützungsbedarf hat gegenüber 2021 nochmals zugenommen. 81 % der Berater*innen verzeichnen vermehrt Anfragen von Personen mit für die Beratung nicht ausreichenden Deutschkenntnissen (+7), was deutlich häufiger aus den kreisfreien Städten berichtet wird.
Ein weiterer Trend hat sich in dieser zweiten Umfrage verstärkt: Altersarmut ist in der Beratung zunehmend ein Thema. 92 % der befragten Schuldnerberater*innen gaben an, dass bei den über 65-Jährigen die Rente nicht zum Leben reicht (+8) und sie deshalb ihre Beratungsstelle aufsuchen müssen. Steigende Energiekosten wurden von 44 % angegeben (+2) und wird deutlich häufiger aus den kreisfreien Städten berichtet. Der Grund „Fehlende oder aufgebrauchte Rücklagen“ wurden von 36 % der Berater*innen als Grund für eine Beratungsaufnahme bei dieser Altersgruppe angegeben (-17), deutlich häufiger aus ländlichen Beratungsstellen.
Der akute Unterstützungsbedarf (Krisenintervention) der ratsuchenden Menschen hat sich in diesem Halbjahr noch einmal deutlich erhöht, die Beratungsinhalte haben sich gegenüber dem 1. Halbjahr 2019 deutlich verschoben. So berichten 67 % (+11) der Befragten von vermehrten Anfragen zum Pfändungsschutz und 36 % (-6) zu Miet- und Stromschulden.
Die Anfragen zur Insolvenzberatung sind leicht zurückgegangen und befinden sich mit 44 % (-8) aber weiterhin auf hohem Niveau (vor allem in den kreisfreien Städten). Dieser Rückgang der Anfragen bestätigt die Rückmeldungen aus der Beratungspraxis, dass gegenwärtig Krisenintervention und Maßnahmen zur Existenzsicherung vorrangig sind. Ferner sind Insolvenzanträge aufgrund dieser existenz-gefährdenden Situation der Ratsuchenden derzeit nicht angezeigt, da die Ratsuchenden vermutlich neue Schulden für die Sicherung ihrer Existenz machen müssen (Energieschulden).
Schuldnerberatung berät zunehmend digital und möchte auch zukünftig digitale Kommunikationskanäle nutzen. Dazu braucht es datenschutzkonforme Lösungen für Mail- und Videoberatung.