Schuldenreport Schleswig-Holstein 2023 Hintergrund-Infos
Die Koordinierungsstelle hat am 12.03.2024 den aktuellen Schuldenreport "Überschuldung in Schleswig-Holstein 2023" im Rahmen eines Fachtags in Rendsburg vorgestellt.
Jedes Jahr gibt die Koordinierungsstelle mit dem Schuldenreport einen Überblick über die aktuelle Situation der überschuldeten Menschen in Schleswig-Holstein. Im aktuellen Bericht werden die Ergebnisse aus der Überschuldungsstatistik 2022 für Schleswig-Holstein ins Verhältnis zu anderen Statistiken gesetzt.
Die Anzahl der beratenen Personen ist um 13 % gegenüber 2021 angestiegen. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn die Lebenshaltungskosten sind infolge des russischen Krieges gegen die Ukraine weiterhin hoch, ebenso die Mieten. Die aktuellen Krisen führen viele Haushalte an ihre – nicht nur finanziellen – Grenzen.
Auch in den Beratungsstellen sind die Folgen von Inflation und Tarifsteigerungen seit Längerem angekommen. Verstärkt durch die massiv erhöhte Nachfrage nach Schuldnerberatung kommen viele Träger an ihre Belastungsgrenze. Die Diakonie Schleswig-Holstein hat diese dramatische Entwicklung zum Anlass genommen, um von Land und Kommunen eine auskömmliche Finanzierung zu fordern. Dazu mehr im Report.
Der Schuldenreport regt dazu an, die gegenwärtige Situation vieler überschuldeter Haushalte im Zusammenhang zu sehen, strukturelle Bedingungen und Entwicklungen aufzuzeigen.
Um den Report übersichtlich zu halten, haben wir weiterführende Informationen z. B. zur Energiekrise oder zur Armut auf unserer Homepage aufbereitet und verlinkt.
Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre!
Fünfte Umfrage zur Situation der Schuldnerberatung in Schleswig-Holstein (April/Mai 2024)
Die dargestellten Ergebnisse beruhen auf einer Landesauswertung der bundesweiten AG SBV-Umfrage für Schleswig-Holstein. Die mittlerweile fünfte Befragung der Schuldnerberatungsstellen bezieht sich auf den Befragungszeitraum April bis Mai 2024 gegenüber dem Frühjahr 2023.
Die Fragestellungen sind dabei gleichgeblieben: Was bedeuten die aktuellen Krisen (Folgen der Corona-Pandemie, Krieg, Energiepreise, Inflation etc.) für Menschen mit Schulden? Und was bedeuten sie für die Arbeit der Schuldnerberatung?
Zusätzlich zu diesen Fragen hat die AG SBV in dieser Umfrage Fragen zu den Erfahrungen der Berater*innen mit „Buy now, pay later“-Angeboten und der Verschuldung durch Kleinstkredite mit aufgenommen.
Die Befunde der bisherigen vier Umfragen zur Situation der Schuldnerberatung in Schleswig-Holstein bleiben aus unserer Sicht weiterhin aktuell und sollen hier nicht wiederholt werden. Wir nehmen eher wahr, dass sich die Trends noch verschärft haben.
Kernergebnisse
In Schleswig-Holstein stellen wir in fast allen Bereichen eine noch deutlichere Zunahme der Beratungsanfragen gegenüber dem Bundestrend fest. In drei Viertel der Beratungsstellen hat sich die Anfrage nach Schuldnerberatung gegenüber dem Frühjahr 2023 leicht oder stark erhöht.
Zunehmend kommen Menschen aus der "Mitte der Gesellschaft" sowie Personen mit Wohneigentum in die Schuldnerberatung. Erwerbstätige und (Solo)Selbständige suchen in Schleswig-Holstein vermehrt die Schuldnerberatung auf.
Die Rückmeldung, dass die Beratungsfälle immer komplexer werden (durch z.B. hohe Gläubigerzahl oder Pfändungen) wird aus allen Beratungsstellen in Deutschland gegeben.
Auch die Zunahme psychischer Belastungen und Krankheitsbilder können für alle Beratungsstellen bundesweit festgestellt werden. Ebenso werden multiple Problemlagen (z.B. Schulden und Krankheit und familiäre Probleme) vermehrt zurückgemeldet. Insgesamt werden Schuldnerberater*innen zunehmend mit komplexen Dynamiken zwischen prekären Lebenslagen, familiären und sozialen Konflikten sowie psychischen Störungen konfrontiert. Hochbelastete Ratsuchende haben weniger Selbsthilfepotential bei gleichzeitig komplexeren sozialen Problemen.
In der Beratung werden zunehmend Schulden bei Zahlungsdienstleistern wie Klarna beobachtet. Das Thema "buy now, pay later" ist in der Schuldnerberatung angekommen.
Die Schwierigkeiten bei der Haushaltsplanung durch gestiegene und anhaltend hohe Lebenshaltungs- Energie- und Mietkosten sind weiterhin in der Beratung präsent. Das führt zu einer erheblichen Steigerung der Nachfrage von Schuldnerberatung in ganz Deutschland.
Auch die Nachfrage nach P-Konto-Bescheinigungen bleibt überall hoch.
Dieses Ergebnis ist alarmierend und zeigt sich insbesondere im Bereich der Krisenintervention. Die Vielfalt der Themen in der Existenzsicherung nimmt die Berater*innen in höchstem Maße in Anspruch. Die beschriebene Gesamtentwicklung bringt viele Beratungsstellen an ihr Limit, die Beratungskapazitäten sind vielerorts bereits ausgeschöpft.
Energie und Schulden
Einige Zahlen zur Einordnung
Die enormen Preissteigerungen, die seit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine eingesetzt haben, haben sich im Jahr 2023 nur leicht abgeschwächt.
Die weiterhin hohen Energiepreise lassen die Gefahr, in eine Überschuldung zu geraten, wachsen - insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen.
Inflationsrate
Die Inflationsrate im Jahr 2023 betrug 5,9 %. Die Teuerung für das Jahr 2023 wurde wie im vorangegangenen Jahr von den Auswirkungen der Kriegs- und Krisensituation beeinflusst, die die Preisentwicklung auf allen Wirtschaftsstufen prägte. Im Januar 2023 betrug die Inflationsrate noch 8,7 % und ist seitdem kontinuierlich gesunken.
Zu Beginn des Jahres 2024 betrug die Inflationsrate noch 2,9 %, im September 2024 1,6 %.
Die Inflationsrate nach Monaten finden Sie hier.
Preisentwicklung für Gas und Strom
Energieprodukte verteuerten sich 2023 gegenüber dem Vorjahr um 5,3 %, nach einem enormen Anstieg um 29,7 % im Jahr 2022.
Im Jahresdurchschnitt 2023 erhöhten sich die Preise für Haushaltsenergie um 14,0 %, unter anderem kostete Erdgas 14,7 % und Strom 12,7 % mehr als ein Jahr zuvor.
Hingegen verbilligte sich unter den Haushaltsenergieprodukten leichtes Heizöl im Jahresdurchschnitt 2023 gegenüber 2022 deutlich um 22,2 %.
Auch Kraftstoffe wurden im Jahresdurchschnitt günstiger (-5,8 %).
Die Gaspreise stiegen im ersten Halbjahr 2024 gegenüber dem zweiten Halbjahr 2023 um 4,0 %, gegenüber dem 1. Halbjahr 2023 fielen sie allerdings um 3,2 %. Im Vergleich zum 2. Halbjahr 2021, dem Vergleichszeitraum vor dem russischen Angriff auf die Ukraine und der sich verstärkenden Energiekrise, lagen die Gaspreise für Haushaltskunden sogar um mehr als zwei Drittel (+73,8 %) höher.
Strom kostete die Verbraucher*innen im 1. Halbjahr 2024 1,7 % weniger als im 2. Halbjahr 2023 (-3,0 % gegenüber dem 1. Halbjahr 2023) und knapp ein Viertel (+24,8 %) mehr als im 2. Halbjahr 2021. Quelle
Preisentwicklung für Nahrungsmittel
Die Preise für Nahrungsmittel erhöhten sich 2023 gegenüber 2022 erneut spürbar für die Verbraucherinnen und Verbraucher um 12,4 %. Bereits 2022 hatte die Preiserhöhung bei Nahrungsmitteln mit +13,4 % deutlich über der Gesamtteuerung gelegen. Im Jahresdurchschnitt 2023 waren fast alle Nahrungsmittelgruppen von Preiserhöhungen betroffen. Quelle
Auch im September 2024 haben sich die Preise für Nahrungsmittel gegenüber dem Vormonat um 1,6 % verteuert. Quelle
Entwicklung der Reallöhne
Die Reallöhne sind 2022 das dritte Jahr in Folge gesunken (-3,1 %), da die Lohnsteigerungen die Inflation nicht ausgleichen konnten. Das ist der stärkste Reallohnverlust für Beschäftigte seit 2008. Quelle
Im Jahr 2023 setzte sich diese Entwicklung fort, die Reallöhne sind leicht um 0,1 % gegenüber 2022 gestiegen. Damit ist die Reallohnentwicklung erstmals seit 2019 wieder leicht positiv. Dazu trugen auch die Inflationsausgleichsprämie und die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro im Oktober 2022 bei. Quelle
Für das laufende Jahr 2024 ist der Trend positiv:
Im ersten Quartal 2024 stiegen die Reallöhne um 3,8 % gegenüber dem Vorjahresquartal. Dabei hatten Geringverdienende die stärksten Verdienststeigerungen. Quelle
Im zweiten Quartal 2024 setzte sich der Trend fort: hier lagen die Reallöhne um 3,1 % höher als im Vorjahresquartal. Quelle
Situation der Ratsuchenden
Bei Primärschulden, wie Energie- und Heizkostenschulden, muss möglichst kurzfristig beraten werden. Der Beratungsdruck ist in solchen Fällen für die Klient*innen wie Berater*innen gleichermaßen hoch.
Die Situation ist bei unseren Klient*innen in Schleswig-Holstein nicht selten existentiell. Durchschnittlich wendeten sie im Jahr 2023 46 % ihres monatlichen Haushaltseinkommens für Wohnkosten (Miete einschließlich Energie- und Nebenkosten) auf. Das entspricht 584 €. Im Bundesdurchschnitt liegt der Wert bei 45 %/560 Euro. Der Anteil in der Gesamtbevölkerung in Gesamtdeutschland liegt bei 25 %.
Mehr zum Thema Wohnkosten finden Sie auf dieser Seite unter "Wohnsituation".
Die Ratsuchenden leben häufig in energetisch unsaniertem Wohnraum (einfach verglaste Fenster, alte Boiler etc.). Aufgrund einer in der Regel negativen Schufa und zu hoher Mieten fällt es ihnen schwer, sanierten Wohnraum anzumieten. Die Nebenkosten und die Kosten für die Stromversorgung sind für unsanierte Wohnungen ungleich höher als für sanierte.
Die stetig steigenden Strompreise seit der Liberalisierung des Strommarktes 1997, der aktuelle Krieg in der Ukraine, der eine extreme Steigerung der Lebenshaltungskosten zur Folge hatte, und nicht zuletzt alte Geräte mit im Verhältnis hohem Stromverbrauch in verschuldeten Haushalten haben dazu geführt, dass wir in den letzten Jahren eine weitere Zunahme der Kriseninterventionen bei Stromschulden zu verzeichnen hatten.
Die im Verhältnis zum geringen Einkommen zu hohen monatlichen Abschläge, verzögerte oder ausbleibende Ratenzahlungen und damit wiederum sehr hohe Nachforderungen in der Jahresabrechnung führten zu einem unaufhörlich wachsenden Schuldenberg und in der Folge zu angekündigten Stromsperren.
Auch im Bereich der Heizkosten kam es vor allem seit dem Jahr 2021 zu großen Mehrbelastungen für die Privathaushalte – noch weiter verschärft durch den Krieg in der Ukraine. Die Preise für Heizöl, Strom und Gas sind extrem angestiegen. Wir erwarten daher auch weiterhin einen massiv steigenden Beratungsbedarf in diesen Bereichen der Schulden mit dem Hintergrund der Existenzgefährdung.
Neben bezahlbarem angemessenen Wohnraum gehören eine ausreichende Grundversorgung mit Haushaltsenergie (Strom, Gas und andere Brennstoffe) zum Existenzminimum eines Menschen und somit zu den Grundlagen für die Teilhabe am Leben der Gesellschaft. Aktuell sind Niedrigverdiener ohne Wohngeld und Grundsicherungsleistungen besonders betroffen.
Auf der Themenseite "Energie" haben wir viele relevante Informationen zum Thema Energie zusammengestellt.
Dort finden Sie die geltenden Gesetzesregelungen sowie die Verlinkung auf das Unterstützungsportal "Energie-Hilfe" vom Verein Tacheles und dem Paritätischen Wohlfahrtsverband.
Armut und soziale Ausgrenzung
Die Ursachen von Armut sind vielfältig. Häufig geraten Menschen in Armut, weil sie ihren Job verlieren, krank werden oder sich von ihrem Partner oder ihrer Partnerin trennen. Besonders gefährdet sind Alleinerziehende, Beschäftigte im Niedriglohnsektor, Frauen im Rentenalter, Menschen mit Migrationshintergrund sowie Familien mit mehr als zwei Kindern und Menschen mit geringen Bildungsabschlüssen.
Unterschieden werden absolute und relative Armut. "Absolute Armut" bedeutet, dass Menschen ihre Grundbedürfnisse nicht decken können. Sie haben zum Beispiel nicht genug zum Essen, keine ausreichende Kleidung oder Wohnung oder ihre ärztliche Versorgung ist nicht gesichert.
Die Sicht auf "relative Armut" bezieht auch die Lebens- und Entwicklungschancen in einer Gesellschaft ein, es geht also um soziale Ungleichheit. Wer relativ arm ist, hat beispielsweise schlechtere Bildungschancen, weniger soziale Kontakte und größere Schwierigkeiten als andere, beruflich aufzusteigen. Die Möglichkeit, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, das heißt die soziale und kulturelle Teilhabe, ist in vielerlei Hinsicht eingeschränkt.
Armut bedeutet, dass Menschen nicht die Teilhabemöglichkeiten haben, die in einer Gesellschaft als normal gelten, und zugleich materiellen Mangel erleiden.
In der Europäischen Union wird die folgende, 2004 eingeführte Armutsdefinition zugrunde gelegt: Von Armut spricht man, wenn Personen über ein so geringes Einkommen und so geringe Mittel verfügen, dass ihnen ein Lebensstandard verwehrt wird, der in der Gesellschaft, in der sie leben, als annehmbar gilt.
Eine Person gilt als von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen, wenn mindestens einer der folgenden drei Lebenssituationen zutrifft:
1. ihr Einkommen liegt unter der Armutsgefährdungsschwelle (monetäre Armut)
2. ihr Haushalt ist von erheblicher materieller Entbehrung betroffen (Mangel an alltäglichen Gütern, die üblicherweise einen angemessenen Lebensstandard ermöglichen würden)
3. oder sie lebt in einem Haushalt mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung.
Nach dieser Definition waren im Jahr 2023 in Deutschland 21,2 % der Bevölkerung (17,7 Mio. Menschen) von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen. Quelle
Diffenziert nach Geschlecht und Alter im Zeitvergleich: Quelle
Nach einer weiteren gängigen Berechnungsgrundlage, die der Paritätische in seinem Armutsbericht zugrunde legt, galten bundesweit im Jahr 2021 16,9 % (14,1 Mio.) der Bevölkerung als arm – ein neuer Höchststand. Quelle
Die Pandemie hat die Armut in Deutschland sprunghaft ansteigen lassen. Mit den seit Herbst 2021 steigenden Lebenshaltungskosten ist eine erst allmähliche, nun aber geradezu dramatische Vertiefung der Armut hinzugekommen. Bei einer Inflationsrate von 7,9 Prozent im Jahr 2022 hatte ein Regelsatz in Hartz IV oder Altersgrundsicherung von 449 Euro im Vergleich zum Vorjahr gerade noch eine Kaufkraft von 414 Euro. Berechnungen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes geht davon aus, dass der Regelsatz 725 Euro betragen müsste, um armutsfest zu sein. Quelle
Der WSI-Verteilungsbericht 2022 stellt den Zusammenhang her: "In Deutschland ist der Anteil der Armen in der letzten Dekade deutlich angestiegen. Einkommensarmut ist […] weit mehr als nur ein Mangel an finanziellen Ressourcen. Wer in Deutschland arm ist, erwirbt weniger Bildungskompetenzen, hat ein höheres Morbiditätsrisiko oder lebt auf kleinerer Wohnfläche. Diese schlechteren Lebenslagen der armen Bevölkerung gehen auch mit einer geringeren Lebenszufriedenheit einher. […] Der Bericht verdeutlicht, dass Armut nicht nur weniger gesellschaftliche Teilhabe für die Betroffenen bedeutet, sondern deren Vertrauen in demokratische Institutionen untergräbt. Gefährdet ist deswegen letztlich auch das demokratische gesellschaftliche System, wenn Bedürfnisse der armen Bevölkerung strukturell vernachlässigt werden. Die Bekämpfung von Einkommensarmut ist somit auch gesamtgesellschaftlich eine dringende Notwendigkeit, wobei es vor allem gilt, Chancengleichheit und volle gesellschaftlich Teilhabe für Arme zu fördern." Quelle
Der WSI-Verteilungsbericht 2023 bestätigt diese Entwicklung: "Mit materiellen Einschränkungen und dem Gefühl geringer Anerkennung geht bei vielen Betroffenen eine erhebliche Distanz zu zentralen staatlichen und politischen Institutionen einher: Mehr als die Hälfte der Armen hat nur wenig Vertrauen in Parteien und Politiker*innen. Rund ein Drittel vertraut dem Rechtssystem allenfalls in geringem Maße. Mehr
Zum Weiterlesen
Diakonisches Werk Schleswig-Holstein: Positionspapier Armut
Armut in Schleswig-Holstein: Wissenschaftliche Impulse, sozialpolitische Folgerungen und praxisnahe Handlungsempfehlungen, Autor*innen: Kim Bräuer, Kai Marquardsen, Jana Matz, im Auftrag des Diakonischen Werks Schleswig-Holstein, 2023
"Die Studie ermöglicht uns einen Blick in die persönlichen Lebensumstände von Menschen in Armut, jenseits der statistischen Erhebungen", sagt Prof. Dr. Kim Bräuer, eine der Autorinnen. "Die biografischen Interviews gehen in die Tiefe, nicht in die Breite und lassen Raum für die jeweils eigene Erzähl- und emotionale Darstellungsweise. Somit können wir besser nachvollziehen, was Armut für die Menschen tatsächlich bedeutet und wie sie damit umgehen." Mehr zur Studie
Diakonie Deutschland: Wissen kompakt Armut
Paritätischer Armutsbericht 2022 "Zwischen Pandemie und Inflation" (aktualisierte 2. Auflage März 2023)
Paritätischer Wohlfahrtsverband: Regelbedarfe 2023. Kurzexpertise
Wer weniger als 60 % des mittleren Einkommens zum Leben hat, gilt nach der EU-weit geltenden Definition als armutsgefährdet.
Im Jahr 2022 lag die Armutsgefährdungsquote in Deutschland bei 16,7 %, wobei Frauen deutlich häufiger betroffen sind als Männer (17,7 % zu 15,7 %). Mit zunehmenden Alter sind Frauen deutlich häufiger armutsgefährdet als Männer (19,4 % zu 15,1 % bei den über 65-Jährigen). Quelle (Tabelle A2.0 DE_Bund).
In Schleswig-Holstein lag die Armutsgefährdungsquote mit 16,9 % leicht über dem Bundesdurchschnitt, wobei auch im Land Frauen deutlich häufiger betroffen sind als Männer (18,2 % zu 15,5 %). Mit zunehmenden Alter sind auch in Schleswig-Holstein Frauen deutlich häufiger armutsgefährdet als Männer (17,6 % zu 13,6 % bei den über 65-Jährigen). Quelle (Tabelle A2.15 Schleswig-Holstein)
Der Schwellenwert lag 2022 bundesweit bei 1.189 € für eine alleinstehende Person, in Schleswig-Holstein bei 1.178 €. Quelle (Tabelle A.7.2)
Armut von Kindern und Jugendlichen ist seit Jahren ein ungelöstes strukturelles Problem in Deutschland. 20,8 % der Kinder bzw. Jugendlichen unter 18 Jahren (2,8 Mio.) wuchsen 2021 in Deutschland in Armut auf. Damit sind Kinder die Altersgruppe, die am zweithäufigsten von Armut betroffen ist. Zwei Drittel leben mindestens fünf Jahre durchgehend oder wiederkehrend in Armut. Ein neuer Rekord der Kinderarmut in Deutschland. Quelle
Wer in Deutschland in einer Familie mit mehreren Kindern lebt, ist häufiger von Armut betroffen, als das in Haushalten mit weniger Kindern der Fall ist. Fast ein Drittel (32 %) aller Familien mit drei oder mehr Kindern gilt als einkommensarm, knapp 18 % beziehen Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II. Der Blick auf die Länderebene unterstreicht diesen Befund: Über alle Bundesländer hinweg haben Paarfamilien mit drei und mehr Kindern ein fast dreimal so hohes Armutsrisiko wie Paarfamilien mit zwei Kindern. Besonders schwierig ist die Lage für alleinerziehende Familien mit drei und mehr Kindern: Über 86 % von ihnen sind auf Sozialtransfers angewiesen. Quelle
Kinder und Jugendliche erleben in nahezu allen Lebensbereichen Einschränkungen aufgrund der Armut – mit Folgen für das ganze Leben. Armut bestimmt auch ihr Selbstbild. So trauen sich Kinder, die in Armut aufwachsen, in Bezug auf den angestrebten Bildungsabschluss weniger zu.
Die Corona-Pandemie hat diese multiplen Problemlagen noch weiter verschärft.
In keinem anderen Industrieland hängt der Bildungserfolg von Kindern so stark von der sozialen Herkunft ab, wie in Deutschland. Die regelmäßigen PISA-Studien der OECD belegen das seit vielen Jahren. Das bedeutet, dass Kinder, die in Armut aufwachsen, sehr viel schlechtere Möglichkeiten haben, sich als Erwachsene von Armut zu befreien.
Konzepte für eine Kindergrundsicherung liegen seit Jahren auf dem Tisch. Am 27.09.2023 hat das Bundeskabinett den Gesetzentwurf zur Einführung einer Kindergrundsicherung beschlossen. Der Gesetzentwurf sieht vor, bisherige finanzielle Förderungen, wie das Kindergeld, die Leistungen für Kinder und Jugendliche im Bürgergeld und der Sozialhilfe, den Kinderzuschlag und Teile des Bildungs- und Teilhabepaketes durch die neue Leistung Kindergrundsicherung zu ersetzen. Die Kindergrundsicherung soll 2025 erstmals ausgezahlt werden. Mehr
Das Bündnis Kindergrundsicherung bestehend aus 20 Verbänden und 13 Wissenschaftler*innen zeigt sich enttäuscht von dem Konzept und fordert deutliche Nachbesserungen. Die zentrale Forderung nach einer armutsfesten Kindergrundsicherung und der damit verbundenen neuen Berechnung des Existenzminimunms von Kindern seine nicht im Ansatz umgesetzt. Das Konzept des Bündnisses zur Kindergrundsicherung finden Sie hier.
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Im Schuldenreport 2020 haben wir im Themenschwerpunkt "Chancenlose Kinder" viele Informationen zu diesem Thema zusammengetragen. Mehr
Bertelsmann Stiftung: Factsheet "Kinder- und Jugendarmut in Deutschland", 2023 Download
Bertelsmann Stiftung: Policy Brief "Existenzsicherung für Kinder neu bestimmen", 2023 Download
BAG KJS: Monitor Jugendarmut 2022 "Armut hat viele Gesichter - Aktuelle Zahlen, Daten und Fakten" (gut gemachte Homepage zum Thema) Mehr
In 2022 galten 42 % der Alleinerziehenden (zu über 80 % Frauen) in Schleswig-Holstein als arm oder von Armut bedroht Quelle (Tabelle A 3.15) und sind entsprechend häufiger auf Leistungen nach dem SGB II angewiesen.
Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern stellen zwar nur 21 % der Gesamtfamilien dar Quelle (Kap. 1, Grafik 1.27), bilden aber 55 % der Bedarfsgemeinschaften mit Kindern im SGB II ab. Der Wert ist in 2022 gegenüber dem Vorjahr um 2,6 % gestiegen. Quelle (Tabelle 4)
Damit ist das Armutsrisiko von Alleinerziehenden mehr als doppelt so hoch wie im gesellschaftlichen Durchschnitt.
Der Anteil der alleinerziehenden Familien, die von Einkommensarmut gefährdet sind, bleibt hoch. Obwohl sie häufig einer Erwerbstätigkeit nachgehen, können viele Alleinerziehende keine gesicherte Existenz für sich selbst und ihre Kinder schaffen. Alleinerziehende Mütter gehen häufiger einer Beschäftigung nach als andere Mütter und arbeiten öfter in Vollzeit. Gleichzeitig fehlen Betreuungsmöglichkeiten für die Kinder.
Zudem üben auch 40 % der Alleinerziehenden im SGB II-Bezug eine Erwerbstätigkeit aus – häufiger als der Durchschnitt der Leistungsempfänger*innen. Quelle
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Diakonie Deutschland: Armut und Geschlecht
Eine fehlende (berufliche) Bildung ist ein großes Überschuldungsrisiko.
Im Jahr 2022 lag die Arbeitslosenquote von Menschen ohne Berufsabschluss in Schleswig-Holstein bei 19,7 %. Die der Akademiker lag bei 2,3 %, die derjenigen Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung bei 2,7 %. Diese Werte sind gegenüber 2021 leicht zurückgegangen und mit den Zahlen auf Bundesebene nahezu identisch. Die Arbeitslosenquote der Ungelernten ist damit mehr als sechsmal höher als bei Menschen mit abgeschlossener Ausbildung. Quelle
In Schleswig-Holstein waren im Jahr 2022 31 % der gering qualifizierten Personen ab 25 Jahren armutsgefährdet. Quelle (Tabelle A 3.15)
Bundesweit lag die Quote für über 25-Jährige mit 32 % etwas höher. Quelle
Der Anteil der Geringverdiener*innen lag bei Vollzeitbeschäftigten ohne Berufsabschluss bei 41 %, bei Beschäftigten mit beruflichem Abschluss bei 18 % und bei Personen mit Hochschulabschluss bei 5 %. Quelle
Die Altersarmut wächst, durch die Krisen befeuert, stärker und schneller als erwartet an. Die aktuelle Energiekrise und die allgemeinen Preissteigerungen betreffen gerade Menschen mit kleinen Renten existentiell. Mehr als ein Viertel der Rentner*innen hatten 2021 ein monatliches Nettoeinkommen von unter 1.000 €. Frauen sind in dieser Einkommensgruppe extrem überrepräsentiert (38 % zu 15 %). Altersarmut bleibt überwiegend weiblich. Quelle
Die Altersgruppe der über 65-Jährigen ist mit 8 % bezogen auf den Anteil an der Bevölkerung (29 %) in der Schuldnerberatung deutlich unterrepräsentiert. Ihr Anteil in der Beratung wächst aber kontinuierlich. Vor dem Hintergrund der aktuellen Krisen sowie der sozialpolitischen und gesellschaftlichen Entwicklung ist in den kommenden Jahren in dieser Altersgruppe mit einem deutlichen Anstieg der Ratsuchenden zu rechnen.
Der Anteil der älteren Menschen unter den Kund*innen der Tafeln steigt stetig an. Unter ihnen ist der Frauenanteil deutlich höher. Quelle
Viele Rentnerinnen müssen als Folge von Familienarbeit und Teilzeit mit einer Mini-Rente auskommen. Aus Scham bitten viele erst spät um Hilfe. Zudem haben sie oft keine ausreichende Altersvorsorge.
Die Altersrenten der Frauen aus der gesetzlichen Rentenversicherung waren 2022 in den alten Bundesländern mit durchschnittlich 789 € um 38 % niedriger als die der Männer (1.279 €). In den neuen Bundesländern betrug die Differenz 15,1 % (1.155 gegenüber 1.360 €). Quelle
Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) nehmen Hundertausende in Deutschland Sozialleistungen wie ehemals „Hartz IV“ aus Angst vor Stigmatisierung oder moralischer Scham nicht in Anspruch. Im SGB II wird die Quote der Nichtinanspruchnahme auf 43-56 % geschätzt und bei Grundsicherung im Alter sogar auf ungefähr 60 %. Quelle
Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat in seinem Armutsbericht 2022 (aktualisierte 2. Auflage März 2023) zu diesem Thema festgehalten:
"So fällt der ganz ungewöhnliche Zuwachs der Armut unter Erwerbstätigen auf. Und hier insbesondere die Armut unter Selbständigen. Die Armutsquote springt während der Pandemie von 9 auf 13 %. Das ist ein extrem starker Anstieg, was aber durchaus mit einschlägigen Untersuchungen korrespondiert, die schon während der Pandemie Hinweise gaben, dass es vor allem Selbständige waren, die in der Pandemie in großer Zahl finanzielle Einbußen zu erleiden hatten.
Auch unter den abhängig Beschäftigten fällt ein ungewöhnlich starker Anstieg der Armut in der Pandemie auf: von 7,9 auf 8,5 Prozent. Drei Faktoren dürften hier eine Rolle spielen:
- die Einkommensverluste bei Kurzarbeit,
- die Tatsache, dass unter den abhängig Beschäftigten pandemiebedingt jene am stärksten von Einkommensverlusten betroffen waren, die ohnehin über eher geringe Erwerbseinkommen verfügten,
- sowie der rapide Anstieg von Teilzeitarbeit. Es kann vermutet werden, dass auch hier pandemiebedingte Arbeitszeitreduzierungen mit entsprechenden Lohneinbußen eine Rolle spielten." Pressestatement, S. 2
Erwerbsarmut
Erwerbsarmut bedeutet, dass eine erwerbstätige Person in einem Haushalt mit einem verfügbaren Einkommen unterhalb der Armutsgrenze lebt (60 % des mittleren Einkommens). In Deutschland lag die Erwerbsarmutsrate im Jahr 2022 bei 8,7 %. Quelle
Damit gibt es in Deutschland mehr erwerbstätige Arme als Arbeitslose! In Schleswig-Holstein liegt die Quote bei 8,6 %. Quelle (Tabelle 3.15 für S-H)
Niedriglohn: Weiblich, jung, im Dienstleistungssektor tätig
Niedriglohn ist Erwerbsarmut. Als Niedriglohn wird ein Verdienst bezeichnet, der weniger als zwei Drittel des mittleren Brutto-Verdienstes (Median) aller Arbeitnehmer*innen beträgt. Die Niedriglohnschwelle betrug in Deutschland im Jahr 2020 2.284 € brutto/Monat. Der Anteil der Geringverdienste lag bei Vollzeitbeschäftigten ohne Berufsabschluss bei 40,8 %, bei Beschäftigten mit beruflichem Abschluss bei 17,8 % und bei Personen mit Hochschulabschluss bei 4,9 %.
In Schleswig-Holstein arbeiten 21 % im Niedriglohnbereich. Quelle
Deutschland hat nach wie vor einen der größten Niedriglohnsektoren Europas. Quelle Im Jahr 2022 arbeiteten 19 % aller abhängig Beschäftigten (7,5 Mio. Personen) im Niedriglohnsektor. Der Niedriglohnanteil ist im Gastgewerbe am höchsten. Das Statistische Bundesamt gibt die Niedriglohnschwelle mit 12,50 € brutto je Stunde an. Dieser Wert ist leicht über dem Mindestlohn von 12 €. Corona und die Preissteigerungen verschärfen die Lage für Geringverdiener*innen. Quelle
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Die Corona-Pandemie hat die Probleme des Niedriglohnsektors noch verstärkt. Vor allem Beschäftigte im Niedriglohnsektor haben ihre Arbeit verloren oder sind auf Kurzarbeit gesetzt worden. Zudem haben Beschäftigte in diesem Bereich seltener Aufstockung des Kurzarbeitergeldes durch den Arbeitgeber bekommen. Knapp 50 % der Haushalte mit einem monatlichen Nettoeinkommen von weniger als 900 € mussten Einkommensrückgänge hinnehmen. Hier sind vor allem geringfügig Beschäftigte betroffen. Auch die Höhe der Einbußen ist bei niedrigen Einkommen relativ betrachtet gravierender als bei Gutverdienern. Quelle
Mindestlohn
Der seit Oktober 2022 geltende Mindestlohn ist in seiner Höhe nicht existenzsichernd und bedeutet im Alter eine Rente unter Grundsicherungsniveau. Der Mindestlohn erhöht sich zum 01.01.2024 von 12,00 € auf 12,41 €. Zum 01.01.2025 steigt er auf 12,82 Euro. Angesichts der hohen Inflation und der steigenden Kosten für Energie und Lebensmittel hatten die Gewerkschaften in der Mindestlohnkommission eine stärkere Anhebung des Mindestlohns gefordert. Mehr
Die vorherige Bundesregierung hatte im Jahr 2018 berechnet, dass für einen Single-Haushalt der Mindestlohn bei 45 Beitragsjahren 12,63 € betragen müsste, um im Alter die Grundsicherungsschwelle zu erreichen. Quelle
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Toralf Pusch: 12 Euro Mindestlohn: Millionen Beschäftigte bekommen mehr Geld
Broschüre "Der Mindestlohn" (Stand: Januar 2024)
"Aufstocker"
Die Zahl der "Aufstocker", also der Arbeitnehmer*innen, die trotz Arbeit Leistungen nach dem SGB II beziehen, ist auch bundesweit in 2022 weiter auf 812.828 zurückgegangen.
Im Vor-Pandemie-Jahr 2019 betrug ihre Zahl noch 1,02 Mio., im Jahr 2020 ist sie auf 933.234 zurückgegangen, in 2021 auf 863.761. Dieser Rückgang verwundert nicht, da in der Pandemie gerade die geringfügig Beschäftigten (z. B. im Gastgewerbe) ihren Job verloren haben.
Im Mai 2023 wurden bundesweit 781.412 Aufstocker gezählt, in Schleswig-Holstein 29.655. Quelle
Zum Weiterlesen
Studie Bertelsmann Stiftung: Aufstocker-Familien in Deutschland: Wenn das Geld trotz Job nicht ausreicht
Atypisch Beschäftigte
Der Anteil von atypisch Beschäftigten an den Kernerwerbstätigen verharrt in Deutschland auf hohem Niveau. Bundesweit waren im Jahr 2022 21,2 % der Kernerwerbstätigen atypisch beschäftigt (7,3 Mio.), davon waren 29,5 % Frauen und 13,5 % Männer. Quelle
In Schleswig-Holstein lag die Quote vor Corona bei 20,4 %, davon waren 29,7 % Frauen und 11,6 % Männer. Quelle
Atypisch beschäftigt ist jemand, dessen Haupttätigkeit mindestens eine der folgenden Eigenschaften aufweist: Teilzeit- bzw. geringfügige Beschäftigung mit 20 oder weniger Stunden, Befristung, Leiharbeit.
Kernerwerbstätige sind Erwerbstätige (abhängig Beschäftigte und Selbständige) im Alter von 15-64 Jahren, die nicht in Ausbildung oder verschiedenen Diensten beschäftigt sind (Grundwehrdienst, Freiwilligendienst etc.).
Diese Arbeitssituationen verhindern den kontinuierlichen Aufbau einer eigenständigen Altersvorsorge und finanziellen Absicherung. Das auf kontinuierliche Vollzeit-Erwerbsarbeit ausgerichtete Steuer- und Transfersystem fördert das traditionelle Ernährermodell (Vater in Vollzeit, Mutter in Teilzeit), indem es entsprechende ökonomische Anreize für (Ehe)Paare setzt und die daraus erwachsenden Nachteile für Frauen nicht ausreichend kompensiert.
"Die geringfügig entlohnte Beschäftigung wurde bereits 1972 zur Förderung der Frauenerwerbstätigkeit eingeführt und mit den Hartz-Reformen ausgebaut." Quelle (S. 170)
Das spiegelt sich in den Rentenbezügen wider: Die Altersrenten der Frauen aus der gesetzlichen Rentenversicherung waren 2022 in den alten Bundesländern mit durchschnittlich 789 € um 38 % niedriger als die der Männer (1.279 €). In den neuen Bundesländern betrug die Differenz 15,1 % (1.155 gegenüber 1.360 €). Quelle
Minijobs
Bundesweit arbeiteten vor Corona fast 7 Mio. Menschen in einem Minijob. Von dem coronabedingten Beschäftigungsrückgang waren Minijobs aufgrund ihrer schlechten Absicherung besonders betroffen. Drei Viertel der Minijobber*innen arbeiten zu einem Niedriglohn und haben keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld. Dadurch bricht gerade Haushalten im unteren Einkommensbereich ein erheblicher Teil ihres verfügbaren Einkommens weg. Sie verlieren auch eher ihre Arbeit als andere Erwerbstätige. Entgegen der ursprünglichen Idee haben sich Minijobs nicht als Einstieg in gut bezahlte Arbeit erwiesen.
Wohnsituation
Wohnkosten Klient*innen in der Schuldnerberatung 2023 - Bund und Schleswig-Holstein
Durchschnittlich wendeten die Klient*innen in der Schuldnerberatung bundesweit im Jahr 2023 45 %/560 € ihres monatlichen Haushaltseinkommens für Wohnkosten (Miete einschließlich Energie- und Nebenkosten) auf.
In Schleswig-Holstein waren es 46 %/584 €.
Besonders hoch ist der Anteil bei alleinerziehenden Frauen mit einem Kind (45 %/587 €) und bei alleinlebenden Frauen (44 %/486 €).
Das entspricht den Zahlen in Schleswig-Holstein: Alleinerziehende Frauen mit einem Kind 46 %/592 € und alleinlebende Frauen 44 %/480 €.
Die Ratsuchenden in der Schuldnerberatung leben häufig in energetisch unsaniertem Wohnraum und müssen ungleich höhere Nebenkosten leisten. Das zeigt der Blick auf die Gesamtbevölkerung.
Wohnkosten Gesamtbevölkerung 2023 - Bund
Hier liegt der Wohnkostenanteil bundesweit bei 25 %. Liegt die Wohnkostenbelastung bei mehr als 40 %, gelten Haushalte als überbelastet. Im Jahr 2022 traf dies auf 12 % der Bevölkerung bundesweit zu. Die finanzielle Überbelastung wird unabhängig davon erhoben, ob Menschen zur Miete oder in den eigenen vier Wänden wohnen. Mehr
In der Gesamtbevölkerung sind Alleinlebende mit einem Wohnkostenanteil von 34 % und Alleinerziehende mit 32 % besonders betroffen. Diese Werte sind in den vergangenen Jahren kontinuierlich angestiegen.
Wohnkosten armutsgefährdete Bevölkerung 2023 - Bund
Betrachtet man nur die armutsgefährdete Bevölkerung, so ergibt sich ein deutlich anderes Bild: Insgesamt müssen armutsgefährdete Menschen 46 % ihres Einkommens für Wohnkosten aufwenden. Alleinlebende haben einen Wohnkostenanteil von 52 %, Alleinerziehende von 48 % sowie Familien mit mehreren Kindern einen Wohnkostenanteil von 44 % (nicht armutsgefährdete Haushalte 28 %, 27 % bzw. 21 %). Auch diese Werte sind in den vergangenen Jahren kontinuierlich angestiegen. Mehr
Themenseite "Wohnen"
Das Statistische Bundesamt hat eine eigene Themenseite "Wohnen" eingerichtet, auf der sich alle relevanten Statistiken, Pressemiteilungen etc. finden.
Die Mietbelastungsquote eines Haushalts bezeichnet den Anteil am Haushaltsnettoeinkommen, der für die Bruttokaltmiete aufgebracht werden muss.
Im Jahr 2022 haben die rund 19,9 Millionen Hauptmieterhaushalte in Deutschland durchschnittlich 27,8 % ihres Einkommens für die Miete ausgegeben.
Die Mietbelastungsquote war für die rund 6,6 Millionen Haushalte, die ihre Wohnung 2019 oder später angemietet haben, mit 29,5 % um 2,7 Prozentpunkte höher als für die rund 2,7 Millionen Haushalte, die ihren Mietvertrag bereits vor 1999 abgeschlossen haben (26,8 %). Das gilt vor allem für die Städte.
3,1 Millionen Haushalte hatten eine Mietbelastung von 40 % und mehr. Das entspricht 16 % aller Haushalte. 1,5 Millionen Haushalte davon gaben sogar mindestens die Hälfte ihres Einkommens für Nettokaltmiete und verbrauchsunabhängige Betriebskosten aus. Mehr
Allgemein gilt eine Mietbelastungsquote von 30 % als maximal vertretbarer Wert. Kreditinstitute legen diese Mietbelastungsquote ihren Kreditwürdigkeitsprüfungen und ihren Kreditscorings zugrunde.
In Schleswig-Holstein lag die Mietbelastungsquote im Jahr 2022 bei 30,2 %. Deutlich über dem Bundesdurchschnitt und fast die höchste in Deutschland. Mehr
Miete bleibt ein Armutsrisiko
Eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zeigt, dass die Mietbelastung seit ungefähr 2005 annähernd konstant, aber ungleich verteilt ist. So mussten im Jahr 2021 die einkommensschwächsten 20 Prozent der Haushalte in Deutschland knapp 36 Prozent ihres Einkommens für Miete aufbringen, während es bei den einkommensstärksten Haushalten nur rund 22 Prozent waren. Vor allem Einpersonenhaushalte und Alleinerziehende zahlen anteilig deutlich mehr für die Miete.
Stark belastete Gruppen sollten durch Stärkung des sozialen Wohnungsbaus und höheres Wohngeld entlastet werden, so das DIW. Mehr
Themenseite "Wohnen"
Das Statistische Bundesamt hat eine eigene Themenseite "Wohnen" eingerichtet, auf der sich alle relevanten Statistiken, Pressemiteilungen etc. finden.
Gesellschaftlicher und ökonomischer Nutzen der Schuldnerberatung
Studie zum gesellschaftlichen und ökonomischen Nutzen der staatlich anerkannten Schuldenberatungen in Österreich mittels einer SROI-Analyse
Dieses Studie aus dem Jahr 2013 hat ergeben, dass jeder Euro, der in die staatlich anerkannten Schuldenberatungen investiert wird, soziale und wirtschaftliche Wirkungen im Gegenwert von 5,3 Euro schafft.
Einspareffekte für das Land Berlin aus der Tätigkeit der Schuldner- und Insolvenzberatungstellen
Bereits 2003 hat die Wissenschaftlerin Marianne Meinhold Einspareffekte für das Land Berlin aus der Tätigkeit der Schuldner- und Insolvenzberatungstellen berechnet.
Aus den Daten zu Aufnahme und Erhalt von Erwerbstätigkeit, vermiedenen Sozialhilfe- und Personalleistungen sowie vermiedenen Gerichtskosten errechnete die Studie für Berlin Kostenersparnisse zwischen 10 und 15 Millionen Euro pro Jahr.
Das bedeutet: Mit jedem Euro, den das Land für Schuldnerberatung ausgibt, werden 2 Euro an sonst notwendigen Leistungen eingespart.